Dieser Roman steht in der Jugendbibliothek auch als Klassensatz für Berufsschulen und Gymnasien zur Verfügung. Im Frühling 1944 wird Mila, 20 Jahre, Mitglied der Résistance, aus Paris in das KZ Ravensbrück deportiert. Sie ist schwanger, verheimlicht jedoch die Schwangerschaft. Ihre Mitgefangenen helfen ihr, geben ihr von ihren Essensrationen. Milas Sohn wird geboren und bleibt im "Kinderzimmer", wo er notdürftig versorgt wird, während Mila weiterhin ihren grausamen KZ-Alltag durchlebt. Als ihr kleiner Sohn stirbt, nimmt sie ein anderes, verwaistes Baby als ihres an, zieht es nach der Befreiung in Frankreich auf. Der Roman der französischen Autorin erzählt sehr eindrücklich ein Schicksal, das auf vielen Zeitzeugenberichten und Gesprächen mit überlebenden Frauen beruht. Der sehr zurückhaltende Erzählstil und eine knappe und nüchterne Sprache erfassen die Gefühlslage der Frauen auf beeindruckende Weise, die - um zu überleben - ihre Emotionen in den Hintergrund ihres Bewusstseins rücken müssen. Der Roman ist überaus empfehlenswert und in Zeiten schwindender Zeitzeugen ein wichtiges Zeugnis deutscher Geschichte. Die französische Autorin Valentine Goby erhält für ihren Roman „Kinderzimmer“ den „ Annalise-Wagner-Preis 2017 “ der Annalise-Wagner-Stiftung aus Neubrandenburg. In der Begründung heißt es: "In ihrem Roman beleuchtet Valentine Goby literarisch eine unfassbare Facette von NS-Verbrechen im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück: die Ermordung der Kinder, die dort geboren wurden. Aus intensiven Recherchen und Gesprächen u. a. mit Marie-José Chombart de Lauwe, die als Häftlings-Krankenschwester im „Kinderzimmer von Ravensbrück“ um das Leben der Neugeborenen rang, die dort ab 1944 nicht mehr sofort getötet wurden, sondern an Hunger, Kälte und Krankheiten starben, webt die Autorin eine fiktive Geschichte, die den „inneren Kern“ von Zeitzeugen-Erinnerungen, Lebens-Erfahrungen und historischen Forschungen konzentriert erfasst, verdichtet und in Literatur verwandelt. Aus dem bedrückenden Sujet „Kinderzimmer“ entwickelt Valentine Goby eine hoffnungsvolle Geschichte von Mut und Widerstand gegen Terror und Gewalt, von Solidarität und Freundschaft, von Menschlichkeit und Menschenwürde unter menschenverachtenden Bedingungen. In der Rahmenhandlung sucht die Hauptfigur als 80jährige Zeitzeugin nach dem Punkt, an dem diese Vergangenheit und unsere Gegenwart sich berühren, wo sich die Zwanzigjährige von 1944 und junge Leute von heute treffen – und resümiert: „Man braucht Historiker, um über die Ereignisse zu berichten; Zeugen, die ihre persönliche Geschichte erzählen, und Schriftsteller, um zu erfinden, was für immer verschwunden ist: den Augenblick.“ (V. Goby) Valentine Gobys konzentrierte, klare, leicht verständliche Sprache verdichtet historisches Wissen mit poetischer Kraft zu literarischen Bildern, die Lesern helfen, „den Kern der Dinge“ zu sehen. Ihre Sprache lässt keine Phrase, keine Rührseligkeit zu, sie trägt diese Geschichte voller Empathie, Prägnanz und Präzision. Die Autorin, selbst Jahrgang 1974 und damit zur Enkelgeneration gehörend, wurde in Frankreich bereits mehrfach ausgezeichnet. Mit diesem Roman gelingt ihr etwas Erstaunliches, das bislang nur einigen wenigen Überlebenden selbst gelungen ist, so zum Beispiel Primo Levi, Liana Millu, Imre Kertesz oder Charlotte Delbo: eine Zeugnissprache, die in das Innere des „univers concentrationnaire“ (David Rousset) führt, Fakten atmosphärisch zu Momentaufnahmen verdichtet, nach Schwierigkeit und Notwendigkeit dieser Erinnerungen fragt, nach ihrer Bedeutung für unser Verständnis von Menschenwürde und Menschenrechten – und auch nach der besonderen Rolle, die Literatur als Medium des kollektiven Gedächtnisses spielt. Nun setzt ein regionaler Literaturpreis aus Mecklenburg-Vorpommern ein Zeichen dafür, wie hochaktuell und wie literarisch faszinierend dieser Roman auch und gerade für deutsche Leser ist. Im Fokus des Annalise-Wagner-Preises stehen Texte, die Besonderes beitragen zum kollektiven Gedächtnis der historischen Region „Mecklenburg-Strelitz“. In der regionalen Erinnerungskultur spielt die Auseinandersetzung mit „NS-Geschichte vor der Haustür“ eine wichtige Rolle. Dazu gehören die vielfältigen Verbindungen von Orten wie Fürstenberg oder Neubrandenburg mit dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Im Roman „Kinderzimmer“ wird das Netz zwischen Orten der Region und dem KZ Ravensbrück auf literarisch überzeugende Weise geknüpft, „Lager“ und „Welt“ gehören unmittelbar zusammen. Immer wieder erinnern das Motiv des Blicks über den See nach Fürstenberg und die Ortsnamen in Beobachtungen, Nachrichten und heimlich gesammelten Zeugnissen daran: Geographisch und historisch betrachtet lag das Konzentrationslager Ravensbrück nicht „außerhalb der Welt“, sondern in Sichtnähe der Einwohner der damals mecklenburgischen Stadt Fürstenberg. Auch in Neubrandenburg gehörten tausende Häftlingsfrauen in Außenlagern zum Alltag. Selbst die geheimen Kontakte der Frauen aus Ravensbrück zu Kriegsgefangenen aus dem Lager Neubrandenburg-Fünfeichen spielen in der Geschichte eine wichtige Rolle.
Verfasserangabe:
Valentine Goby ; aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Medienkennzeichen:
Belletristik
Jahr:
2017
Verlag:
Berlin, Ebersbach & Simon
Aufsätze:
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ISBN:
978-3-86915-140-3
2. ISBN:
3-86915-140-4
Beschreibung:
1. Auflage, 236 Seiten
Fußnote:
Aus dem Französischen übersetzt.
Mediengruppe:
Buch