Der Vormärz hat einen schlechten Ruf. Die Jahre zwischen 1815 und 1848 gelten als Zeitalter der Restauration und Repression, als verlorene Übergangsepoche, die auf die Umwälzungen der Französischen Revolution und der Napoleonischen Herrschaft folgte. Doch wurden damals zugleich auf vielen Feldern die Grundlagen für die rasante Modernisierung gelegt, die Deutschland in der zweiten Jahrhunderthälfte durchlief. Wilhelm Bleek holt die Epoche des Vormärz aus ihrem Schattendasein und lässt sie in ihrer faszinierenden Vielfalt und Widersprüchlichkeit wiederaufleben.
Kulturell gelten die Jahre des Vormärz als Zeit des Biedermeier, in der sich der deutsche Michel mit Schlafrock und Zipfelmütze ins Private zurückzog und einer behäbigen Spießigkeit hingab. Doch gleichzeitig legte das Bürgertum ein gehöriges Selbstbewusstsein an den Tag, förderte Innovationen und bereitete der Obrigkeit durch ein lebendiges Vereinswesen großes Kopfzerbrechen. Goethe verfasste den zweiten Teil des Faust, die ersten Eisenbahnlinien entstanden, der Telegraf wurde erfunden, die Naturwissenschaftler organisierten und vernetzten sich in neuer Form, Sängervereine provozierten mit nationalen Liedern, Universitäten entstanden, und der preußische König weckte anlässlich der Wiederaufnahme der Arbeiten am Kölner Dom nationale Hoffnungen. Die Epoche mündete in die gescheiterte Revolution von 1848/49. Doch jenseits dieses Scheiterns legte sie die Grundlagen für Deutschlands Aufbruch in die Moderne.
Vorwort
Der Wiener Kongress (1814 /15)
Fürsten und Diplomaten verhandeln über eine europäische Gleichgewichtsordnung, tanzen miteinander und spionieren sich gegenseitig aus
Die Verfassung von Sachsen-Weimar-Eisenach (1816)
Ein kleines thüringisches Fürstentum geht beim konstitutionellen Fortschritt voran
Das Wartburgfest (1817)
Studenten zelebrieren zum 300. Jahrestag der Reformation einen patriotischen Gottesdienst und verbrennen anschließend Bücher
Die Gründung der Bonner Universität (1818)
Der protestantische König von Preußen errichtet eine akademische Bastion im katholischen Rheinland
Die Ermordung August von Kotzebues durch Carl Sand (1819)
Ein Theologiestudent ersticht einen Lustspieldichter aus nationalistischem Glaubenswahn
Die Uraufführung von Webers "Der Freischütz" (1821)
Romantische Liebesgeschichte im mythischen deutschen Wald
Die Gründung der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte (1822)
Akademische Vereinsbildung zwischen Geselligkeitsbedürfnis und Wissenschaftsfortschritt
Der Tod von Friedrich Krupp (1826)
Nach dem Ableben des Gründers führen seine Witwe und ihr minderjähriger Sohn eine bankrotte Fabrik zum Weltrang
Der Bau von Bremerhaven (1827)
Die Hansestadt Bremen legt einen neuen Zugang zum Meer an
Die Wiederaufführung der Matthäus-Passion (1829)
Der junge Felix Mendelssohn Bartholdy erweckt Johann Sebastian Bach zu neuem Leben
Die Erstveröffentlichung des "Baedeker" (1832)
Ein Reiseführer läutet den modernen Massentourismus ein
Goethes Lebensende (1832)
Der Dichterfürst vollendet den zweiten Teil seiner Faust-Tragödie und stirbt
Das Hambacher Fest (1832)
Dreißigtausend feiern den europäischen Völkerfrühling
Die Erfindung des elektromagnetischen Telegraphen (1833)
Ein Astronomie- und Mathematikprofessor und sein Physikkollege spannen einen Draht über Göttingen
Die Protestation der Göttinger Sieben (1837)
Professoren gewinnen ihre Auseinandersetzung mit dem hannoverschen König dank der Unterstützung durch diegesamtdeutsche Öffentlichkeit
Der Bau der Eisenbahn zwischen Leipzig und Dresden (1837/39)
Ein neues Verkehrsmittel beschleunigt das allgemeine Zeitgefühl
Das Kölner Dombaufest (1842)
Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. legt den Grundstein zur Vollendung des Kölner Doms als einem deutschen Nationaldenkmal
Karl Marx und die "Rheinische Zeitung" (1843)
Der radikale Philosoph spielt als Redakteur einer liberalbürgerlichen Zeitung Katz und Maus mit der preußischen Zensur
Bettine von Arnims "Dies Buch gehört dem König" (1843)
Eine exzentrische Freifrau macht den preußischen König auf die Misere der Armen vor den Toren Berlins aufmerksam
Das Schleswig-Holstein-Lied (1844)
Nationale Sehnsucht aus deutschen Männerkehlen
Die Einweihung der Münchener St. Ludwigskirche (1844)
Der bayerische König setzt sich mit dem Bau einer Prachtstraße ein Denkmal
Die Hungerunruhen (1847)
Die Armen besorgen sich ihr "täglich Brot"
Die Eröffnung der deutschen konstituierendenNationalversammlung (18. Mai 1848)
Abgeordnete ziehen mit "Zuversicht und Hoffnung" in die Paulskirche ein